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Ein Märchen ist ursprünglich eine mündlich überlieferte Volkserzählung, in der oft Magie eine Rolle spielt und die Fantasie des Lesers oder Zuhörers angesprochen wird. Es beginnt oft mit der stereotypen Einleitungsformel „Es war einmal ...“ und spielt an einem unbestimmten Ort in einer unbestimmten Vergangenheit, was ebenfalls eine bestimmte Atmosphäre schafft.

Märchen gehören zu einer alten mündlichen Überlieferung und enthalten oft eine moralische Lehre oder tiefere Weisheit. Es wird unterschieden zwischen mündlich überlieferten Märchen und literarischen Märchen, den individuellen kreativen Werken eines Schriftstellers wie Hans Christian Andersen. Eine klare Trennung zwischen beiden ist jedoch nicht immer möglich. In der einen oder anderen Form gibt es Märchen mit ähnlichen Elementen auf der ganzen Welt. Als ungeschriebene Erzählung richtete sich ein Märchen damals an ungebildete Erwachsene. Durch die mündliche Überlieferung wurden ihnen moralische Geschichten vermittelt. Heutzutage sind „Märchen” Kindergeschichten mit Lebensweisheiten.

Als Genre ist das Märchen eng mit der Fabel verwandt. In geringerem Maße ist es mit der Legende, dem Mythos und der Sage verwandt.

Etymologie

Das deutsche „Märchen“ leitet sich vom Diminutiv zu mittelhochdeutsch „maere“ ab. Es bedeutet „Kunde, Bericht, Nachricht“ aber auch „Gerücht“.
Es handelte sich um eine auf mündlicher Überlieferung beruhende, kurze Erzählung, oft mit fantastischen und wunderbaren Begebenheiten.

Im Englischen und Französischen heißt ein Märchen „Feen Geschichte“ (fairy tale bzw. conte de fées).

Merkmale

Im Allgemeinen haben traditionelle Märchen folgende Merkmale gemeinsam:

Figuren

Eine Vielzahl von Figuren bevölkert die Märchenwelt. Die folgenden Hauptpersonen kommen häufig vor:

Auffällig ist, dass die Hauptfiguren oft keinen richtigen Namen haben, um den universellen Charakter eines Märchens zu unterstreichen. Wenn die Figuren doch einen Namen haben, weist dieser auf eine Eigenschaft hin (Rotkäppchen, Schneewittchen, Goldlöckchen, Der kluge Hans, Eisen-Heinrich, ...) oder ist der Name alltäglich (wie in Hänsel und Gretel) und symbolisch für den einfachen Menschen.

Die (oft namenlosen) Figuren leben meist in einem „fernen Land” (weit hinter den Bergen oder Meeren, manchmal hinter den Wolken). Meist wird eine Beschreibung der Umgebung und der Behausung gegeben. Oft gelangen die Figuren im Laufe ihres Lebens in unbekannte Gebiete und erleben dort ihre Abenteuer.

Beliebtheit

Im Jahr 2022 waren Schneewittchen, Aschenputtel und Dornröschen die drei beliebtesten Märchen bei niederländischen Erwachsenen, während Aschenputtel bei den befragten Kindern der Favorit war, gefolgt von Schneewittchen und Rotkäppchen.

Geschichte

Von vielen Märchen wissen wir nicht genau, wann sie zum ersten Mal erzählt wurden. Die ältesten europäischen Märchen kennen wir aus Giambattista Basiles "Pentameron" (1634/36) - "Lo cunto de li cunti overo lo trattenemiento de peccerille" (Das Märchen der Märchen oder die Unterhaltung der Kleinen) -, das uns zum ersten Mal die Geschichte von "Rapunzel", "Aschenputtel" und "Der gestiefelte Kater" erzählt.

Im 17. Jahrhundert schrieb Charles Perrault eine Reihe von Märchen nieder, die er "Histoires ou contes du temps passé, avec des moralités: Contes de ma mère l'Oye" (1697) nannte, zu Deutsch "Die Märchen von Mutter Gans", in denen unter anderem Dornröschen und Däumling zum ersten Mal auftauchen.

In der Romantik interessierten sich vor allem die Brüder Grimm dafür; sie waren Juristen und sammelten nicht nur lokale Regeln aus dem Gewohnheitsrecht aller Regionen und Städte Deutschlands, sondern begannen auch, Volksmärchen und Märchen zu sammeln. Sie schrieben ihre Sammlung nieder, die unter dem Titel "Kinder- und Hausmärchen" (1812-1822) veröffentlicht wurde, auch in Übersetzungen außerhalb des deutschen Sprachraums.
Ihnen verdanken wir unter anderem Hänsel und Gretel und Schneewittchen, aber auch Frau Holle, die es schneien lässt, indem sie ihr Daunenkissen schüttelt, und über Gut und Böse urteilt.

Später wurde Hans Christian Andersen (1805 - 1875) mit vielen neuen Märchen bekannt, darunter "Die kleine Meerjungfrau", "Des Kaisers neue Kleider" und viele andere.

Im Nahen Osten waren Märchen schon viel länger beliebt, wie die "Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht" von Scheherazade zeigen, einer märchenhaften Rahmenhandlung mit einer Vielzahl von Geschichten, darunter die von Aladin und der Wunderlampe, Sindbad dem Seefahrer und Ali Baba und den vierzig Räubern. Auch hier dienten die Geschichten, die nicht immer ganz so harmlos waren, „zur Belehrung und Unterhaltung”.

Andere Autoren sind beispielsweise Charles Dickens, dessen „A Christmas Carol” (1843; deutsch meist "Eine Weihnachtsgeschichte") sicherlich als Märchen bezeichnet werden kann. So wurden Märchen zu einem literarischen Genre.
Man könnte sogar sagen, dass Geschichten wie "Der Herr der Ringe", "Die Chroniken von Narnia" und "Alice im Wunderland" eine Fortsetzung dieser Tradition sind.

Auch die alten Märchen sind noch immer im Umlauf, obwohl sich der Inhalt der Geschichten manchmal geändert hat. In den neueren Versionen (wie den Disney-Filmen) endet die Geschichte immer gut, was in der Originalversion sicherlich nicht immer der Fall war. Die Märchen sind heute bereinigt, um für kleine Kinder im sich wandelnden moralischen Zeitgeist geeignet zu bleiben. Diese Veränderungen werden in den verschiedenen Ausgaben der "Kinder- und Hausmärchen" deutlich.


Gedicht "Märchen"

Viel deutsche Märchen erzähl' ich dir
Von Dornröschen, schlafumfangen,
Und wie Rotkäppchen mit dem Wolf
Durch den finstern Wald gegangen.

Frau Holle reitet durchs weite Tal
Und streuet Flachs in die Felder
Und hoch vom Berge schaut Rübezahl
Hinab auf die wogenden Wälder.

In Küche und Keller da schaffen fein
Die Heinzelmännlein, die guten,
Es tanzen die Elfen bei Mondenschein,
Die Nixen in schimmernden Fluten!

Wie glänzt dein Auge, wie lacht dein Mund!
Nicht müde wirst du zu lauschen
Indes uns beide viel Träume hold
Um gaukeln und umrauschen.

Dich meine Märchen und mich das Glück!
O könnt' ich's fassen und halten
Und schützen mit meiner Liebe Schild
Vor allen Zaubergewalten!

Sophie von Khuenberg (1863-1917)